Stiftung Kunst & Musik für Dresden
14.10.2022

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Klepsch,
liebe Martina de Maizière,
liebe Frau von Crailsheim,
sehr geehrter Jan Vogler,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

liebe Zorka Wollny!

Die große Vokal-Artistin Meredith Monk blickte in diesem März in einem
Zeitungsinterview auf die Anfänge ihrer künstlerischen „Multikarriere“ zurück:

„Ich war schon immer daran interessiert, verschiedene Wahrnehmungsweisen und
künstlerische Disziplinen miteinander zu kombinieren … Ich mochte es, wie Maler
hochinteressante Bewegungsstücke machten, wie Dichter Musik machten,
Dramatiker Tänze, und ich mochte es, dass Menschen die Grenzen ihrer jeweiligen
Kunstformen überwanden. Das endete irgendwann in den 70er Jahren, aber ICH
habe nie aufgehört, diese verschiedenartigen Elemente miteinander zu verweben.“

In den Biografien von Meredith Monk findet man folglich eine imposante Aufreihung
von Professionen: Sängerin, Komponistin, Tänzerin, Choreografin,
Performancekünstlerin, Filmemacherin, Theaterautorin, Kuratorin.

Als die Stiftung Kunst & Musik für Dresden vor einigen Monaten zu ihrem 10-jährigen
Bestehen einen Jubiläumspreis ausschrieb, hängte sie die Trauben für die oder den
Auszuzeichnenden ziemlich hoch: Das Suchprofil, das den Mitgliedern der Jury
vorgegeben worden war, verlangte: international beachtete Künstlerinnen oder
Künstler mit großem Potential, die einen Bezug zu Dresden haben und zu aktuellen
Themen arbeiten, vor allem aber: die in ihrer künstlerischen Praxis Musik mit
bildender Kunst zusammenbringen. Gesucht war jemand, die oder der es wagt, –
genauso wie die Stiftung – transdisziplinär oder crossover zu denken und zu arbeiten,

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der oder dem es gelingt, zwischen den Gattungen Brücken zu bauen, Synergien zur
Entfaltung zu bringen, Synästhesien erfahrbar zu machen.

Als Mitglied der Jury durfte ich mich an dieser Suche beteiligen und ich habe heute
die große Freude, Ihnen die Preisträgerin Zorka Wollny vorzustellen.

Vor zwei Wochen konnte ich im Rahmen des aktuellen Dresdner Kunstfestivals
„Nordost-Südwest“ die Uraufführung einer Performance des von Zorka Wollny
geführten „Imperfect Choir“ erleben. Die Aufführung widerlegte zunächst einmal
dieses Prädikat. Sie wurde dann zum furiosen Finale eines unvergesslichen Abends
im Festspielhaus Hellerau. Und es war schwer, dabei nicht an Meredith Monk zu
denken.

Obwohl die meisten der Zuschauer:innen zuvor schon mindestens zwei weitere
herausragende Performances gesehen hatten und obwohl sie nun auch noch stehen
und dem Chor vom einen zum nächsten Raum folgen mussten, fesselte der Auftritt
der sieben Amateursänger:innen, sechs Frauen und ein neunzehnjähriger Mann, das
Publikum bis zum letzten Klang in hochgespannter Aufmerksamkeit. Im großen Foyer
drehten sich die Sänger:innen wie Wetterfahnen und dechiffrierten die Relativität der
Himmelsrichtungen und ihrer kulturellen Zuschreibungen. Anschließend vermaßen
sie vielstimmig die Resonanz in den offenen Treppenhäusern, brachten wie
apokalyptische Bremer Stadtmusikanten mit einem kollektiven Protestschrei der
Tiere die Luft zum Vibrieren und verwandelten schließlich ein ukrainisches
Wiegenlied in einen energetisierenden Weckgesang.

Zorka Wollny ist in Krakau aufgewachsen und hat dort an der Jan Matejko Akademie
der Künste studiert. Den ersten großen Brückenschlag zwischen den Disziplinen hat
sie schon mit ihrer PhD-Thesis vollbracht. Deren Thema heißt ins Deutsche übersetzt
in etwa: „Gemeinsame Denkräume von Bildenden Künstler:innen und Musiker:innen

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im 20. Jahrhundert. 2004 wurde Zorka zum ersten Mal für eine Ausstellung ins
Ausland eingeladen – von der Motorenhalle in Dresden. Seither waren Installationen,
Performances und Konzerte von Zorka Wollny unter anderem in Leipzig, Berlin und
Oldenburg – London, Tartu, New York, Istanbul und Belgrad – in Warschau, Danzig
und vielen anderen polnischen Städten zu sehen und zu hören. Zorka lehrt an der
Fakultät Medienkunst der Akademie der Künste in Stettin und lebt seit einigen Jahren
in Berlin.

Mir ist Zorka Wollny zum ersten Mal mit den Konzerten aufgefallen, bei denen ihre
Musik mit Industriegebäuden, deren Architektur und der Geschichte der Arbeit
korrespondiert. Für eine Strickerei in Lodz, die frühere Danziger Leninwerft und in
diesem Frühjahr für den monumentalen Förderturm der Zeche Hannover in Bochum
komponierte sie die Stimmen von Sänger:innen und früheren Arbeiter:innen mit
Arbeitsgeräuschen und den Schwingungen von wie Schlaginstrumente gespielten
Maschinen, Säulen und Treppengeländern. Wie der Nachhall einer
untergegangenen Kultur schweben Wollnys komplexe Klanggebilde in den
verlassenen Fabrikhallen. „Ich arbeite immer mit dem, was schon da ist“, hat Zorka
einmal gesagt.

Ihre großen, chorischen Werke sind immer das Resultat einer intensiven
Zusammenarbeit der Komponistin und oft weiterer Musiker:innen mit Laien. Über
manchmal mehrere Wochen hinweg erarbeiten sie gemeinsam Musik, Texte und
Choreografien – so auch für den „Imperfect Choir“ in Hellerau. Mit dem 60-köpfigen
Laienchor des Warschauer Museums für die Geschichte der polnischen Juden
POLIN entwickelte sie auf diese Weise schon 2019 das „Polyphonic Manifesto“, das
im Rahmen der Warschau Biennale in einer belebten Einkaufsstraße aufgeführt
wurde und derzeit in Dresden als Videodokumentation in der Robotron-Kantine zu
sehen. ist.

Edit Molnár, Direktorin des Edith-Russ-Hauses für Medienkunst in Oldenburg, hat an
einem solchen Produktionsprozess teilgenommen und ihn folgendermaßen
beschrieben:

„Ich sah die Energie, die Zorka in jede ihrer Begegnungen und Gespräche
investierte, und ich sah auch, wie die Teilnehmer:innen von Zorkas Ideen und von

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den breiten und manchmal auch widersprüchlichen Registern, in die die Künstlerin
sie führte, herausgefordert wurden.
Und bei all diesen Gelegenheiten zeigte sich ein fantastisches Phänomen: Mit Zorkas
ungestilltem Hunger nach menschlicher Verbundenheit und Austausch schaffte sie
es immer wieder, im Handumdrehen echte und konzentriert arbeitende
Gemeinschaften zu führen. Es ist bemerkenswert, wie sie räumliche und klangliche
Situationen schafft, um unsere Beziehung zu unserer Stimme neu zu definiern,
unsere Möglichkeiten der Auseinandersetzung miteinander und unser politisches
Selbst neu zu entdecken.“

Zorka Wollny ist Komponistin, Sängerin, Performance-, Installations- und
Motivationskünstlerin, auch schon eine ganz beachtliche Reihe. Ich danke Dir, Zorka,
dass Du uns, dass Du Dresden mit Deiner radikalen Crossover-Kunst beschenkst.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstagspreis der Stiftung Kunst & Musik für
Dresden.

Roland Schwarz