Der knisternde Tod

 

Zorka Wollny schafft Werke, die den Augenblick privilegieren. Jetzt zeigt die polnische Künstlerin ortsspezifische Sound- und Objektarbeiten in der Kunsthalle Trafo in Stettin

Eine weiße, etwas unförmige Schallplatte lädt zum Anhören ein. Sobald sich die Nadel auf die Platte herabgesenkt und die ersten knisternden Töne erklingen, rückt die Platte ihrem Tod näher. Sie nutzt sich ab, der abstrakte Sound klingt erodiert. Nach dem hundertsten Mal lässt sich die fragile Low-Fi Disc nicht mehr abspielen. Anzuhören ist sie in der Kunsthalle Trafo in Stettin in einer sehr sehenswerten Retrospektive von Zorka Wollny. Für die 1980 in Krakau geborene Künstlerin, die in den letzten 15 Jahren vor allem ortsspezifisch mit Sound und Choreografie arbeitete, ist die Platte ein guter Metakommentar zu ihren Werken, die den Augenblick privilegieren.

Die Platte dokumentiert ein Konzert, das Wollny 2014, als sie gerade nach Berlin gezogen war, in einer ehemaligen Malzfabrik inszenierte. Das Besondere an Wollnys Umgang mit Architektur und Klang findet sich bereits in ihrer allerersten Arbeit „Concert for High Heels“ (2004). Die Künstlerin ließ Frauen in hochhackigen Schuhen durch ein Gebäude stolzieren. In der Choreografie machten die Laufgeräusche Flure, Treppen und schließlich den gesamten Grundriss hörbar. In der Fabrik sorgten klassische Instrumente, Alltagsgegenstände und Gesang für eine akustische Präsenz des Bauwerks. Es kamen aber auch polternde Kugeln, die durch das Rohsystem geschickt wurden, und das Knirschen von zerbrochenem Glas zum Einsatz.

Wenn nun bei Trafo in der Haupthalle der einstigen Elektrizitätsanlage von Zeit zu Zeit Metallkugeln eine Röhre hinabstürzen und laut in einem Eimer aufprallen, ist das ein Zitat aus dem Fabrikkonzert. Die Besucher können aber nicht nur die Kugeln ins Rollen bringen, sondern auch über Glas, Kieselsteine oder Papierschnipsel laufen und die Materialien auditiv wahrnehmen.

Die Ausstellung zeigt zahlreiche Performancedokumentationen. Wollny schuf in der großen Halle aber auch einen Raum voller Geräusche, wobei jede Klangarbeit eine visuelle Repräsentation erhielt. Sehr gelungen ist das im Werk „Die Vögel“, eine Soundarbeit, die sich auf Hitchcocks gleichnamigen Thriller bezieht. Ursprünglich griff Wolly die elektronischen Klänge des bekannten Soundtracks auf, um die Rebellion der Vögel vor dem inneren Auge wieder entstehen zu lassen. In der Reinszenierung tönen die subharmonischen Schreie aus schwarzen Scheinwerfern, die wie ein Krähenschwarm platziert sind.

Indem Wollny ihre Klangarbeiten mit Objekten kombiniert ist sie bildhauerisch tätigt. Dennoch möchte sie „nicht zu viel Kunstmüll produzieren“. Sie arbeitet mit den örtlichen Gegebenheiten und betreibt Recycling. Die Reflektoren sind ausrangiert und von der Stettiner Oper geborgt. Wollny nutzte auch Ressourcen aus dem nahe gelegenen Hafen. Ein Fischernetz dient als Sitzkissen, um dem Psychedelic Choir über Kopfhörer in die Untiefen des Meeres zu folgen. Der Chor ist eine siebenköpfige Frauenband, die Wollny gegründet hat. Ihr Gesang geht von imaginären Landschaften aus und erzeugt, fast nur mit den eigenen Stimmen, gespenstische Geräuschkulissen.

N. U. Unruh von den Einstürzenden Neubauten lud Wollny ein, eins seiner selbstgebauten Drum Kits mit ausgefrästen Stahlstücken, Öltonnen und anderen Elementen von der Werft zu kombinieren. Der Schlagzeuger ist dafür bekannt, dass er alles auf seine akustische Verwertbarkeit überprüft. Zur Eröffnung experimentierte er mit der Drum-Installation und verteilte Trommelstöcke ans Publikum. Plötzlich wurde es gewaltig laut. Einander fremde Menschen, Kinder und Erwachsene, verausgabten sich an den Schlaginstrumenten und ließen sich von Unruhs rhythmischen Backing-Tracks zu einem kollektiven Klangereignis mitreißen.

Wollny arbeitet gerne mit kollektiven Performances. 2019 schuf sie zur Biennale in Warschau das „Polyphonic Manifesto“. An der musikalischen Demonstration auf der Straße waren ein Chor und Bewohner der Stadt beteiligt. Wollny vereinte sie zu einer Stimmengemeinschaft, die ihrem Zweifel und ihrer Frustration an der rechtsgerichteten, neoliberalen polnischen Politik Ausdruck verlieh. Während diese Arbeit als reine Dokumentation zu sehen ist, lässt Wollny im Keller von Trafo Auszüge aus einem Konzert erklingen, das in einer stillgelegten Goldmine in der Slowakei stattfand. Zwar geht hier der ortsspezifische Kontext verloren, der dunkle Raum macht aber die auditive Greifbarkeit von Wollnys abstrakten Noiserfahrung besonders deutlich. Das Gehörte wird geradezu körperlich spürbar und regt die Imagination an. Dabei liegt die Magie von Wollnys Hörerfahrungen immer auch im Einsatz von Disharmonien. Sie liebt es, unperfekte Stimmen und unberechenbare Geräusche ins Spiel zu bringen.

Julia Gwendolyn Schneider,  https://taz.de/, 03.03.2020